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Hintergrund: Namibia

von Sezgin Güven

Deutsch Südwestafrika

Deutsche Kolonie von 1884 – 1919

Deutsch-Südwestafrika war von 1884 bis 1915 eine deutsche Kolonie auf dem Gebiet des heutigen Staates Namibia. Mit einer Fläche von 835.100 km² war Deutsch-Südwestafrika ungefähr 1,5 mal so groß wie das damalige Deutsche Kaiserreich. Deutsch-Südwestafrika war die einzige der deutschen Kolonien, in  der eine gezielte Ansiedlung Deutscher in größerem Stil erfolgte. Neben dem Abbau von Diamanten und Kupfer lockte insbesondere die Viehzucht deutsche Siedler ins Land. 1902 hatte die Kolonie ca. 200.000 Einwohner, darunter 2.595 Deutsche. Bis 1914 kamen weitere 9.000 deutsche Siedler hinzu. Im Rahmen des ersten Weltkrieges wurde das Gebiet 1915 erobert und 1919 der Verwaltung Südafrikas übertragen. Erst seit 1990 ist Namibia unabhängig.

Deutsche Inbesitznahme

Ursprünglich war das Land von Buschmännern bewohnt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfolgte von Nordosten her die Einwanderung der Hereros und von Süden her die der Hottentottenstämme. Der Name “Hottentotten” (Stotterer) geht auf eine Bezeichnung holländischer Siedler für das Volk der Nama zurück, der eigentümlichen Sprache wegen. Sie selbst bezeichnen sich als Khoi-Khoi (die wahren Menschen) oder als Nama – nach ihrem Siedlungsgebiet Namaqualand. Den kriegerischen Stämmen der Einwanderer gelang es schnell die ursprünglichen Bewohner des Landes zu unterjochen und teils auszurotten. Zwischen den Hereros und den Namas kam es in der Folgezeit zu jahrzehntelangen Kriegen.

Im Auftrag des Bremer Kaufmanns Adolf Lüderitz erwarb Heinrich Vogelsang am 1. Mai 1883 vom Nama-Häuptling Fredericks II. für 200 alte Gewehre und 100 englische Pfund die Bucht von Angra Pequena, die heutige Lüderitzbucht, mit fünf Meilen Hinterland. Dabei ließ Vogelsang offen, ob es sich um die den Nama bekannten englischen Meilen oder die fünfmal längeren deutschen Meilen handeln sollte. Da Lüderitz später von der deutschen Maßeinheit ausging, wurden die Namas getäuscht. Das erworbene Gebiet wurde 1884 unter den Schutz des Deutschen Reiches gestellt, um die Landerwerbungen gegen britische Gebietsansprüche zu sichern.

Im gleichen Monat schloss Vogelsang einen zweiten Vertrag ab, in dem Lüderitz der Küsttenstreifen zwischen dem Oranje-Fluss und dem 26. Breitengrad und ein Gebiet von 20 Meilen landeinwärts von jedem Punkt der Küste aus für weitere 500 Pfund und 60 Gewehre verkauft wurde. 1885 wurde in Otjimbingwe der erste Verwaltungssitz eingerichtet. 1890 vergrößerte sich Deutsch-Südwestafrika um den Caprivizipfel im Nordosten, von dem man sich neue Handelsrouten versprach, und der den Anschluss zum Sambesi-Fluss herstellte. Im gleichen Jahres wurde der Grundstein für die Feste „Groß Windhuk“ gelegt, der heutigen Landeshauptstadt “Windhoek“.

Wirtschaft und Infrastruktur

Die ersten deutschen Siedler beschäftigten sich hauptsächlich mit der Viehwirtschaft. Nachdem im Norden Kupfer und später im Süden Diamanten gefunden wurden, entwickelte sich auch eine industrielle Infrastruktur. Der Bau der ersten Bahnstrecke Swakopmund-Windhoek wurde 1897 begonnen und 1902 fertiggestellt. Es folgten weitere Bahnverbindungen in den Süden und Norden des Landes; so von Lüderitz nach Aus und Keetmanshoop, von Keetmanshoop nach Windhuk, sowie in das Kupferabbaugebiet des Otaviberglandes. Damit hatte Deutsch-Südwestafrika das umfangreichste Streckennetz aller deutschen Kolonien. Es hatte bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges eine Länge von 2.100 km. Das Bahnnetz hatte einen entscheidenden Anteil am Aufstieg des Landes. Der frühe, staatlich unterstützte Versuch, mit Lkw das Land zu erschließen, brachte mit keinen Erfolg, da diese im Wüstensand steckenblieben. Eine regelmäßige Schiffsverbindung mit Deutschland erfolgte ab 1898.

Obwohl die Erwartung, in dem öden Lande wertvolle Mineralien zu finden, nicht unbegründet war, wie zahlreihe Funde in Südafrika gezeigt hatten, erwies sich – insbesondere was Gold anbetraf – keine der Lagerstätten als abbauwürdig. Dagegen versprachen, wenn auch auf lange Sicht, hochwertige Marmorvorkommen Gewinn. Gleiches galt für die bei Keetmanshoop entdeckte Kohle. Die größte Rolle aber spielten die zahlreichen Kupfererzlager, die in allen Teilen des Landes gefunden wurden und aus denen teilweise bereits seit über 400 Jahren Erze abgebaut worden waren. Um 1850 begann ein regelrechter “Kupferrausch”, als sich die Nachricht über reichhaltige Vorkommen im zentralen und südlichen Namibia herumgesprochen hatte. Die Gesellschaften Walvis Bay Mining Company und Great Namaqua Mining Company wurden gegründet. Auch die Eingeborenen des Otaviberglandes hatten schon lange Erz abgebaut und verhüttet, den Ort Tsumeb jedoch geheimgehalten. Erst 1893 wurde ein Erzausbiß entdeckt und die Abbauwürdigkeit festgestelltIm August 1900 traf die erste Expedition in Tsumeb ein und bereits 1906 wurde die Eisenbahnlinie zwischen Swakopmund und Tsumeb fertiggestellt und der Abbau des Erzes begann. Keine Mineralfundstelle hat über einen so langen Zeitraum die Faszination von Tsumeb erreicht. Das Vorkommen von Gallium und Germanium, die Größe der Kristalle machten Tsumeb weltberühmt. Im Laufe der Jahre erwarb die Otavi-Minen- und Eisenbahngesellschaft weitere Erzlager, so daß in den Otavi-Minen 1907/08 25.000 t, 1909/10 fast 50.000 t gefördert werden konnten. „Zur planmäßigen Erforschung des Landes“ wurde von mehreren deutschen Großfirmen das “Südwestafrikanische Minensyndikat” gegründet, das in Swakopmund ein bergtechnisches Laboratorium unterhielt und seine Bemühungen auf die Erschließung weiterer wertvoller, reicher Kupfererzvorkommen konzentrierte. Aus gutem Grund: Deutschlands Anteil an der Weltproduktion betrug nur 3,5%, sein Bedarf jedoch war 23%, was eine wirtschaftliche  Abhängigkeit bedeutete.

Im Sommer 1908 fand ein Streckenarbeiter des Bahnbaus hinter Lüderitzbucht im Kiessand ein „glitzerndes Steinchen“, das er als Diamanten erkannte, hatte er früher doch in einer südafrikanischen Diamantenmine gearbeitet. Seine Master wurden über Nacht reiche Leute. Über Finderlohn ist nichts bekannt geworden. Schon bald war jederman in der Lüderitzbucht vom Diamantenfieber gepackt, der Wettlauf um Besitzanteile begann. Bereits nach drei Monaten waren Diamanten von insgesamt 2.720 Karat gefunden worden, bis zum Jahresende betrug der Wert der Förderung bereits 1,1 Millionen Reichsmark. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurden Diamanten im Wert von 152 Millionen Reichsmark gefördert. Auf den Diamantenfeldern herrschten alsbald chaotische Zustände, Rechtsstreitigkeiten und illegaler Diamantenabbau bereiteten der deutschen Regierung große Sorgen. Schließlich wollte der deutsche Staat einen möglichst großen Anteil an diesem Reichtum erhalten und erklärte daher im September 1908 das Gebiet zwischen Oranje-Fluß im Süden und dem 26. Breitengrad im Norden sowie einer 100 km langen Linie landeinwärts zum Sperrgebiet und vergab das Schürfrecht an die Deutsche Kolonialgesellschaft, die 1885 gegründet worden war, um Farmland zu er- und Sielder anzuwerben. Wesentliche andere Gebiete waren im Besitz des Fiskus, der Kolonial-Bergbaugesellschaft und der Colmanskop Diamond Ltd. Ab 1912 wurde die Diamantenförderung mit einer Steuer von 6,6 % belegt, wodurch der Kolonialverwaltung jährlich etwa 10 Millionen Reichsmark zuflossen.

Auch heute noch sind die Diamanten aus Namibia wegen ihrer hohen Schmuckqualität die meistgesuchten Edelsteine der Welt. Damit ist der Diamantenbergbau bis heute einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren für Namibia.

Insgesamt gesehen, waren aber die deutschen Kolonien ein wirtschaftliches Verlustgeschäft. Der Lieferumfang der Produkte, die man aus den Kolonien in das Deutsche Reich importierte, deckte meist nur einen sehr geringen Teil des Inlandsbedarfs. Abgesehen von Kupfer und Diamanten aus Deutsch-Südwestafrika bildeten die Kolonien keine Konjunkturstütze, verschlangen aber für die Kolonialverwaltung und die Niederschlagung von Unruhen hohe Summen. Privatwirtschaftlich gesehen konnten Investoren jedoch, abgesehen von den hohen Investitionen zu Beginn, große Gewinne verzeichnen.

Kolonialverwaltung

Nachdem Lüderitz die deutsche Regierung von der wirtschaftlichen Bedeutung seiner Niederlassung in Südwestafrika überzeugt und um hoheitlichen Schutz gebeten hatte, wurde 1884 ein kaiserlicher Generalkonsul und Kommissar für Westafrika ernannt, derweil die Verwaltung zunächst in den Händen kaufmännischer Gesellschaften liegen sollte.

Weiterhin kam es nämlich zu einer Vielzahl von Zusammenstößen zwischen den verschiedenen Stammesgruppen und auch den deutschen Siedlern. Immer wieder mußten die Gouverneure der Kolonie mit teils drastischen Mitteln gegen die Einheimischen vorgehen. Im Jahr 1904 kam es zum sog. Herero-Aufstand, der darauf basierte, daß sich die Volksgruppe durch massive Landkäufe der Deutschen Kolonialgesellschaft immer mehr aus ihrem Siedlungsgebiet zurückgedrängt und durch skrupellose Händler an den Rand des wirtschaftlichen Ruins gebracht worden sah. Farmen, Eisenbahnlinien und Handelsstationen wurden angegriffen. Die zahlenmäßig unterlegene deutsche Schutztruppe wurde durch 500 Marineinfanteristen und eine Freiwilligentruppe verstärkt, dennoch gelang es zunächst nicht, entscheidende Vorteile zu erringen. Die Reichsregierung ernannte daraufhin den Generalleutnant von Trotha zum neuen Oberbefehlshaber der Schutztruppe. Dieser verfolgte das Ziel der völligen Vernichtung des Gegners. Er ließ noch einmal Verstärkung aus Deutschland kommen und stellte die Hereros am 11. August 1904 zur Entscheidungsschlacht am Waterberg. Es gelang den Hereros zwar, wie im Falle einer Niederlage geplant, nach Südosten auszuweichen, sie unterschätzten jedoch die Schwierigkeiten, welche sich durch eine Flucht mit Rinder und Ziegenherden, Frauen, Kindern und Verwundeten durch die Omaheke-Trockensavanne ergaben. Während der Kämpfe und der Flucht kamen nach unterschiedlichen Quellenangaben bis zu 60 % des Hererovolkes ums Leben.

Im Oktober 1904 erhoben sich dann auch die Nama im Süden des Landes. Es folgte ein jahrelanger zermürbender Kleinkrieg mit der Schutztruppe, der erst 1907/08 endgültig niedergeschlagen werden konnte. Die Vorgänge kosteten durch Krankheiten, Hunger und Durst, Kampfhandlungen, Übberfälle, Flucht und vielfach menschenunwürdige Mißstände in den Internierungslagern nach Schätzung zwischen 24.000 und 64.000 Herero, etwa 10.000 Nama sowie 1.365 Siedlern und Soldaten das Leben.

Durch die Aufstände war die Wirtschaft von Deutsch-Südwestafrika nahezu zum Erliegen gekommen, die Farmwirtschaft musste völlig neu aufgebaut werden, es gab kaum noch Vieh. Mit Entschädigungen in Höhe von insgesamt 7 Millionen Reichsmark sorgte die Reichsregierung dafür, dass die meisten Farmer im Land gehalten werden konnten.

Erster Weltkrieg und das Ende der Kolonie

Nachdem in Europa am 1. August 1914 der Erste Weltkrieg ausgebrochen war, erwartete man in Deutsch-Südwestafrika einen Angriff der mit Großbritannien alliierten Südafrikanischen Union, daher rief man am 8. August die Mobilmachung aus und evakuierte einen 50 km breiten Streifen entlang der Grenze zu Südafrika. Es stellte sich schnell heraus, dass die deutsche Schutztruppe den Südafrikanern hoffnungslos unterlegen war. Am 9. Juli 1915 unterzeichnete der Gouverneur eine Erklärung über die Übergabe der deutschen Schutztruppe an die Südafrikanische Union. Etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung Südwestafrikas wurde bis zum Juli 1919 nach Deutschland zurückgeschickt. Das Ende von Deutsch-Südwestafrika wurde mit dem Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919 besiegelt.

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